| 71r | Catharina Zellinn Bucero et Fagio.1
Der Herre Christus sig gelopt inn ewigkait, der uch noch siner liebe hat gefürt, biß dahin jhr begert und (als ich hoffe) eins gutten willens sint, jhm zu dienen. Lieben herren und brüder, ich hab üwereb brieff czuo ein molc2 empfangen,3 uff welche ich nit vil mit mund und feder antwurten kan, aber vil mehr mitd hertzen, das vil für üch büttet. Sunst bin ich also blöd4 und zerstört im haupt und ganzer natur, das ich nichts mehr schriben, reden noch schier5 wandlen kahn; ja, gar nichts bin ich, eweiß, heissee6 nichts, jn summa: Laßf7 bin ich. Der herr hat mich geschlagen, daß sint schwere streich8, die hant gottes züchtigetg mich; den9 bitten10 für mich armen, einigen11 und betriepten menschen.
Jhr schriben wol,12 das die ernd so groß und der arbeiter aber wenig sint13 und gotloß wesen darumben. Ach, ist sollichs nit auch by uns? Vil arbeiter, aber wenig verstendig und trüw.14 Sehend jhr uff uch selbst, die Zit und tag sint böß.15 Ach, das wir alle inn dem ersten yffer dahin gangen weren!16 Wie ist mir so angst, hwie wir wollenh zum ennd kommen mit nutz und heil. O wee des grossen verderbens viler! Ja frilich, wie jr schriben, sag ich auch offt: Hastu den die menschen umb sunst geschaffen? Ja, hettestu sy doch Erden17 lassen pliben, so wurde jhn doch nit so wee.
18 Aber wer kan sinen fußstapfen nach gen jhm mehr19 und sine gedanken im himmel erforschen?20 Wer ein wort hat, so hat er21 tusent. Jhm sig22 eher und warheit und mir armen barmherzigkeit sampt seiner Kirchen, amen.
iMin schwager23 hat erfaren, das jr in mynem huß sint gewesen24, hat in seer uff mich vertrossen, das ichs jhm verhelet, sagt, er meynet, ich het imm mer vertrawet, ihr müsten herlicher gehalten und geletzt25 sein worden.i Jch dancke üch beyden üwer gruß und schribens. Jch bitt Gott immer für üch, vergessen myn auch nit. Die jhr inn mynem brieff grüßt haben, die grüssen uch auch alle frintlich widerumb, sonderlich myn schwager Symon, syn Hußfraw26, die üwer seer vil gedenkt, und kinderj. Sin Theoffilus27 ist nach langemk und schwerem leger28 genl himmel (wie ich hoff) gefaren; die mutter ist nit zu trösten, biten auch Gott für sy.
| 71v | Wie es sunst hie stöht, werden ir von herr Conradten29 und andern wol wüssen. Witer, jch hab uch anfangsm noch üwerem hinscheiden geschriben,30 wie jr mich betriept und zu myner schmach mirn gelt (mir doch gar unwissen gewesen) inn einem brieff gelossen, domit üwer wort recht standen, crützische myntz31, ihr haben mir ein Crütz am hertzeno gemacht, das ich nye gedacht habe, ein heller zu begeren, vil mynder zu nemen, das ich uch auch wie arme Pilgerp und myne geachte Predigkanten gehalten habe; ich weiß es und ir wüssens auch wol, das ich im etwan anders hät gethan. Matheus32 hat all myn kunst und fröwd hin weg mit jhm; uff das aber myn schamröte einesq theils hingelegt wurde, hab ich euch dise zwey stück goldts widderumb in disen Brief gewolt legen, wie Joseph sinen brüdern.33 Do ist ein verjagter Predigkant mit fünff Kindern zu mir kummen und eins Predigkanten frow, derenr hat man irem mann den Kopff abgeschlagen vor jren Augen;34 die hab ich zwen tag by mir gehebt und diß ein stück goldts disen beiden zur zerung von üweren wegen geschenkt und sden anderens35 uch widerumb inn disen brieff gethon, dennt jr selber sollen bruchen und ein andermal nit so gydig36 sin, ir werden noch vil dörffen37, auch euer volk38, sollen sy hinnoch kumen. Und sint39 also Gott befolen in sinen schutz und schirm ewigklich wider alle sine und ewere fünd. Amen.
Grüssent mir gantz früntlich den lieben herren Valerandus40 und danken ihm sins gruß, das er myn ingedenk ist. Der Herr Christus gedenk sin und aller, die in lieben allzit, amen. Docter Peter Martyren41 grüssent mir auch frintlich und sin guteu frau42. Gott wölle üch allen sin geist verlihen zu thun und handlen zu siner eher und nutz siner armen Kirchen und schefflin. Amen.
Katharina Zellin, die ewer im herren; die ser betriept Rachelv weinet und wurt weinen und ungetröst pliben biß zum ennd, dan nit allein jre kinder, sunder jr mann, den sy lieb hat gehapt, ist nyme.43 O Got, hilff, hilff!
(Adressierung:) | 71r | Den erwürdigen vnd gottsförchtigen herrn Martinus Butzerus vnd Paulus Fagius, mein lieben herrn vnd sondern fründen, jezt in England, zu iren eigenen handen.
p. 339. 346(genaue Angabe nach Simler), abgeschrieben. McKee, Zell 2, S. 111 Anm. 65 vermittelt den falschen Eindruck, als ob Baums Kopie auf Simler basiere. Beide Abschreiber haben an unterschiedlichen Stellen inhaltlich relevante Fehler gemacht. Baums Text ist geringfügig besser und wird daher der Edition zugrundegelegt, muss aber an einigen Stellen durch Simler korrigiert werden.
O gott, werent wir alle jnn der ersten hitz und yfer hin ganngen.Vgl. Offb. 2,4.
Rahel weint über ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen über ihre Kinder; denn es ist aus mit ihnen.Zell hatte zwei Kinder, die schon vor Jahren verstorben waren, das erste 1527. Vgl. Grabrede Zells von 1548 in: McKee, Zell 2, S. 86. Matthäus Zell war bereits am 9. Januar 1548 gestorben. Auch in den anderen beiden bekannten Briefen Zells zwischen 1549 und 1553 drückte sie in der Unterschrift ihre Trauer über den Tod ihres Mannes aus. Vgl. McKee, Zell 2, S. 109 und 153.