Herzog Christoph von Württemberg an Johannes Brenz

Christoph von Württemberg an Brenz

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| [1r] | Christoff etc.

Vnsern gunstigen grus zuvor, Wurdiger, lieber besonder.

Wier lassen Euch hiebey zukomen, was Matheus Vatellus1 fur ain Apodixin2, wie Ers jntituliert, an landvogt3 vnnd rhett4 zum Mumpelgart5 zu beschonung seiner jrrigen opinion des Calvinismi halben super Articulo predestinationis geschriben vnnd vbergebena, jn welchem er Summarie dahin schliessen wil, bdas dieb Germanicae Ecclesiaec jmd verstand jetz angeregts artikelse mit den Gallicanis Ecclesiis ainig seyen, vnndersteetf sich auchg, solchs mit den Scriptis Lutheri6, Buceri7, Ewerer vnnd andererh mher lautter zu beweißen vnd darzuthun, vermeinende dardurch der sachen ain gestaldt zu geben vnd sein irrthum darmit zu beschonen.8 Derwegen, | [1v] | so wellendi vnß Ewer bedencken daruber mit widerzuschickung des scriptij auch zukommen lassen.9

Neben dem, so vbersendenk wier Euch hiemit auch ain Exemplar aines Catechismi, so der Churf'ürst' Pfaltzgraue10 Newlich jn Thruckh vßgeen lassenl11, vnnd jst daruff vnser gunstigs begher, jr wellend denselben fur hand nemen vnnd mit allem vleis durch lesen, auch bey allen vnnd jedenm sententiis, puncten vnd articuln, da jr gedechten, ain Mißuerstand vnd denn12 Zwinglianismum jnen13 stecken nvnd begriffen seinn, ad margines herusser zeichnen.o

| [2r] | Dweil vnß dan hierus, vnnd das diser jrthum also jhe lenger jhe mher spargiert14 ausbreitet.p vnndq dergleichenr, wie zu besorgen, s mher in truck vßgeen werden, vnserer vnderthonen halben allerhand tvnd nicht geringet beschwernus ervolgt uvnnd dan wier demselbigen bey zeitten zu begegnen vnd sovil imer müglich es abzutreiben vns vor got dem hern schuldig erkennenu, so wellend vnß mit widerschickung dises Exemplars auch Ewer bedencken daruber zukomen lassen vnndv sonderlichen, ob nicht zu anfangw dises ain weg sein möcht, das Hertzog Wolfgang Pf'alzgraf'15, wier vnnd Marggraue Karll zu Baden16| [2v] | vnßx ainer stattlichen, ansehenlicheny Potschafft vergleichenz17, dieselbig zu dem Churf'ürsten' Pfaltzgrauen18 abfertigen vnnd vnß als die genachtburte19, der Churf'ürstlichen' Pfalz anreinende vnd nhestgesessene Fursten, denen ein solchs20 vnser armen21, von got dem Herren, beuolhenen vnderthonen billichen zu hertzen vnnd beschwernus reichte, dessen gegen S'eine' L'iebden'aa22 hochlichen vnnd mit allen nothwendigen vmbstenden beschweren mit stattlicher Ausfurung wegen darjnnen [verfuͤrnis] der Augpurgischen Confession zuwider, darauff den abmit stattlicher Ausfurung wegen darjnnen [verfuͤrnis] der Religion friden gemacht, das auch S. L. wider die Franckfortische vnd Naumburgische Abschiede handlete etc.ab23 vnnd die zum freindtlichsten ersuchen thetten, S. L. wolte acvon wegen der Ehre gottes, S[einer] L[iebden] seelen heil, auchac von geliebter nachparschafft zuuorderst, auch vnser alten freindschafft wegenad vnnd mherer ergernus zuuorkommen, solchsae abschaffen vnd nicht gestatten, afdas solch Jrthum gelert, fill weniger jn die jugendt eingebildet werdeaf, | [3r] | Dan S. L. als der hochuerstendig wol ermessen kundenag, vnß ein solchs vß hochwichtigen vrsachen nicht zu geringer beschwernus reichen thet.

Wouer24 nun S. L. vnß jn solchem vnser anbringen vnd ersuchenn freindtlichen wilfarn wurde, hette es sein Weg.ah Wurde vnß aber S. L. ein solchs verwaigern, ob nicht das ein Weg, das wierai mit sampt Hertzog Wolfg. vnd Margraueaj Karln zu Baden gleich alspald dises alles an andere Churf'ürsten' vnnd Fürsten vnserer wharer Christlichen Religion nach der lenge vnd aller notthurfft gelangen liessenak, dieselbigen vffs höchste alvnd fl'eissigste' bittenal thetten, das sie den Churf. Pf. durch jere Statliche Potschafften ersuchten vnd Sein. L. | [3v] | von disem Vorhaben absteen Christlich vnnd freindtlich vermanen, abfahen vnnd abweisen thetten, dieselbig auch wa sich S. L. zu anfang widersetzen wollten amder Reichs Abschid, besonderlich aberam des Religion fridens Anno [15]55 vfgericht beym vers.25 anfahend doch sollen alle andere etc.26, bey welcheman alle andere Secten dem Religion friden27 vßgeschlossen, vermanen vnd erjnneren, vnnd also ain versuchens thun, ob doch S. L. durch diß mitthel mechte gewunen28 werden.

Mitler weilen aber so hilten wir ain hohe notthurfft sein, das alle general vnd Special Superjntendenten, jtem alle Pfarrer, Diaconi, Schulmeister etc. vnsers Furstenthumbs vermanet wurden, jr embsigs vnnd fleyssigs vfmercken zuhaben, das29 diser Catechismus jn vnserm Furstenthumb bey | [4r] | den vnderthonen, Privat Pershonen aovnd furnemlich den Schulenao nicht einschleichen thette, auch jn kein weg den Buchfuerern gestattet vnnd zugelassen wurde, denselben apfheilzuhaben oderap zu verkauffen bey einer sonderbaren benantllichen straff, damit doch dißem schedlichen jrthum widerstanden vnd derselbig souil jmer muglich abgetriben werde.30 Wolten wir euch etc.31

Datum Stutg., den 17. Feb. 1563.


a danach gestr.: vßgeen.
b–b über der Zeile für gestr.: das Lutherus, Bucerus, Jr vnd andre mher vnnd also jn Gemeine.
c danach gestr.: super.
d davor gestr.: praedicto.
e danach gestr.: ainig.
f im Wort korrigiert.
g am Rand.
h danach gestr.: clar.
i danach gestr.: gedacht Scriptum mit […].
j über der Zeile für gestr.: desselben.
k korr. aus vbersendung.
l danach gestr.: den welhen.
m danach gestr.: puncten.
n–n am Rand.
o danach gestr.: vnnd den mißuerstand zu explicirn, darneben auch mit widerzuschickung dieses Exemplars vnß Ewer bedencken jn schrifften zukommen lassen. Vnnd dweil Herzog Wolfgang Pfg. vnß vnnd Marggraue Karl als den nhest anreinend genachbarten fursten vnß von wegen vnserer von dem Herren beuolhener vnderthonen.
p danach gestr.: werden.
q danach gestr.: das noch.
r danach gestr.: tractetlin.
s–s über der Zeile von anderer Hand: jhe lenger.
t–t am Rand.
u–u am Rand.
v danach gestr.: ob nicht.
w danach gestr.: diser.
x davor gestr.: als die nhestgesessene, der Churfurstlichen Pfalz anreinende vnd genachbarte Fursten.
y am Rand.
z danach gestr.: theten.
aa danach gestr.: beclagen vnnd höchlich beschweren.
ab–ab am Rand von Christoph von Württemberg.
ac–ac über der Zeile von Christoph von Württemberg für gestr.: ain solches.
ad am Rand.
ae über der Zeile von Christoph von Württemberg.
af–af am Seitenende von Christoph von Württemberg für gestr.: dergleichen tractatlin eines jeglichen jrrigen kopfs gefallen noch jn truck vßgeen, sonder die kirchen bey dem Catechismo vnnd wie die zu anfang der rheinen leer des heiligen Euangelii vnderwisen, pure et sincere vnderricht vnd gelernet werden, pleiben.
ag über der Zeile.
ah danach gestr.: Aber jm fhal abschlags.
ai danach gestr.: als samentlich.
aj danach gestr.: […].
ak danach gestr.: vnß dessen gegen jeren liebden beschweren vnd beclagen auch.
al–al über der Zeile für gestr.: ermanhen.
am–am am Rand.
an konj. für: welthem.
ao–ao am Rand.
ap–ap am Rand.

1Matthieu Wattel (Vattel, Vatel, Vatellus) stammte aus Guise in der Picardie und kam 1553 nach Mömpelgard, wo er zunächst Schulmeister war und ab 1555 das Amt eines Subdiakons innehatte. Im April 1556 nahm er das Bürgerrecht an. Das Protokoll der Visitation von 1559 urteilt: Est vir doctus et pius, qui doctissime de omnibus quaestionibus respondet. Am 11. Oktober 1562 wurde er von Herzog Christoph aufgrund seiner als calvinistisch empfundenen Haltung aus seinem Amt entlassen. Vgl. Viénot, Montbéliard 1, S. 282–287; Engammare, L’Ordre, S. 29f.
2Die Schrift ist nicht erhalten. Sie wird von Petrus Tossanus in einem Brief an den Mömpelgarder Kanzler vom 26. Dezember 1562 ausführlich referiert und kritisiert (Brief-ID 42607). Wattel selbst schickte am 1. Dezember 1562 ein Exemplar der Schrift an Calvin (CO 19, Sp. 588–592, Nr. 3881); während dieser Monate stand er in engem brieflichen Austausch mit dem Genfer Reformator; vgl. auch CO 19, Sp. 529–533 (Nr. 3853) und Sp. 547–549 (Nr. 3859).
3Zu diesem Zeitpunkt war Hans Jakob Höcklin von Steineck Landvogt (praefectus, bailli) der Grafschaft Mömpelgard. Vgl. Pfeilsticker, Dienerbuch 1, § 1095; Cuno, Daniel Tossanus der Ältere I, S. 25; Viénot, Montbéliard 1, S. 212; Schieß, Briefwechsel 3, S. 181 Anm. 1.
4Die Mömpelgarder Räte zu diesem Zeitpunkt lassen sich nicht eindeutig bestimmen. Einer von ihnen war möglicherweise Gerson Held. Vgl. Viénot, Montbéliard 1, S. 269.
5Mömpelgard (Montbéliard).
6Martin Luther.
7Martin Bucer (1491–1551).
8Zum Inhalt der Schrift vgl. die detaillierten Angaben von Tossanus in Brief-ID 42607 (wie oben Anm. 2) sowie Wattels eigene Ausführungen in seinem Brief an Calvin vom 1. Dezember 1562 (CO 19, Sp. 588–592, Nr. 3881). Vgl. auch Viénot, Montbéliard 1, S. 285–287.
9Nach Viénot, Montbéliard 1, S. 287 schickte Christoph von Württemberg zusammen mit Wattels Verteidigungsschrift auch Tossanusʼ Stellungnahme an Brenz (vgl. Brief-ID 42607, wie oben Anm. 2).
10Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz (1515–1576).
11Hierbei handelt es sich um das als Heidelberger Katechismus bekannte Werk Catechismus Oder Christlicher Vnderricht, 1563 (VD16 P 2166), dessen Drucklegung von Kurfürst Friedrich III. am 19. Januar 1563 beschlossen worden war. Edition in: EKO 14, S. 342–368 und in: Reformierte Bekenntnisschriften II/2, S. 167–212. Vgl. Apperloo-Boersma/Selderhuis, Macht des Glaubens; Strohm/Stievermann, Profil und Wirkung.
12den.
13innen.
14sich ausbreitet.
15Herzog Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken (1526–1569).
16Markgraf Karl II. von Baden-Durlach (1529–1577).
17zur übereinstimmenden Handlung kommen. DWB 25, Sp. 452.
18nämlich zu Friedrich III. von der Pfalz.
19benachbarte. Vgl. DWB 5, Sp. 3344 s. v. genachbart, dort die Form genachpurte.
20sc. ein solches Vorhaben, nämlich die Verbreitung des Heidelbeger Katechismus.
21sc. wegen unserer armen.
22nämlich Friedrich III. von der Pfalz.
23sc. denn.
24sc. Wofern, Insofern.
25Versiculum, Absatz.
26Zitat des Anfangs von Art. 17 des Religionsfriedens von 1555: Doch sollen alle ander, so obgemelten beiden religionen nit anhengig, in disem friden nit gemeint, sonder gänzlich ausgeschlossen sein, DRTA JR XX/4, S. 09.
27sc. aus dem Religionsfrieden.
28gewonnen.
29sc. dass sich.
30Zur ausgedehnten Verbreitung des Heidelberger Katechismus vgl. die in Anm. 11 genannte Literatur.
31Vgl. hierzu das Schreiben der Württemberger Theologen an Herzog Christoph vom 30. September 1563, Brief-ID 18699.
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